Was macht eigentlich ein Schulleiter den ganzen Tag?

„Was machst du eigentlich den ganzen Tag?" – Eine Kinderfrage, die ins Herz der Schulleitung führt. Über Präsenz statt Kontrolle, Freiräume und die Kunst, einen Raum zu halten, in dem Hunderte Menschen täglich wachsen können.

Hier präsentieren wir unser Web-Tagebuch (Blog), in dem wir (versuchen ;) aktuelle Ereignisse aus unserem Schulalltag festzuhalten.

Da das gesamte Team hier mit unterschiedlichen Werkzeugen (Handys, Computer, …) von verschiedenen Orten (unterwegs, zu Hause, in der Schule, …) Artikel veröffentlicht, kann jeder Beitrag anders aussehen.

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Nach Denken

„Herr Direktor, was machst du eigentlich den ganzen Tag?“ – Diese Frage höre ich öfter, als man denkt. Meist kommt sie von Kindern, die mich im Gang begegnen, manchmal von Eltern beim Tür-und-Angel-Gespräch. Die Antwort ist komplexer, als sie auf den ersten Blick scheint. Und sie berührt eine grundsätzliche Frage: Was ist Schulleitung überhaupt – Verwaltung, Pädagogik, oder vielleicht die Kunst, einen Raum zu halten, in dem Hunderte von Menschen täglich wachsen können?

Die Architektur des Unsichtbaren

Der israelische Psychologe Haim Omer hat mit seinem Konzept der „Neuen Autorität“ etwas Wesentliches erfasst: Führung funktioniert nicht durch Macht, sondern durch Präsenz. Ich kann nicht anordnen, dass Pädagog:innen inspirierend unterrichten. Ich kann nicht befehlen, dass Kinder gerne lernen. Ich kann nicht verordnen, dass Eltern der Schule vertrauen.

Was ich aber kann: Bedingungen schaffen, unter denen solche Prozesse möglich werden. Das klingt bescheidener, als es ist. Es bedeutet, dass ich morgens manchmal durch die Klassen gehe – nicht kontrollierend, sondern gegenwärtig. Dass ich bei Konflikten nicht sofort Lösungen präsentiere, sondern systemische Fragen stelle, die neue Perspektiven eröffnen. Dass meine Türen offen sind und ich für alle gegenwärtig. Dass ich bei schwierigen Gesprächen nicht Positionen verteidige, sondern nach den Bedürfnissen aller frage – des Kindes, der Eltern, der Pädagog:innen.

Der Organisationspsychologe Edgar Schein nennt das „humble inquiry“ – die bescheidene Frage. Nicht die Person mit den meisten Antworten führt eine Organisation gut, sondern jene, die den besten Fragen Raum gibt. In einer ganztägigen Schule heißt das: Wie könnt ihr euren Unterricht gestalten, wenn ihr wirklich Freiheit habt? Was braucht ihr, um die Kinder so zu begleiten, wie ihr es für richtig haltet? Welche Strukturen tragen, welche behindern?

Diese Fragen sind nicht rhetorisch. Sie berühren etwas, das der Bildungsforscher Michael Schratz „pädagogische Führung“ nennt – eine Haltung, die sich fundamental von klassischem Management unterscheidet. Es geht nicht darum, eine Organisation zu steuern wie ein Unternehmen, sondern einen Lern- und Lebensraum zu gestalten, in dem Menschen – kleine wie große – sein dürfen, wer sie sind.

Zwischen den Zeilen des Alltags

Die Wirklichkeit einer ganztägigen Volksschule in der Josefstadt ist vielschichtig. Morgens stehe ich vielleicht im Gespräch mit Eltern, die unsicher sind, ob ihr Kind wirklich „schulreif“ ist. Mittags koordiniere ich mit der Schulärztin die Gesundheitsvorsorge. Nachmittags diskutiere ich mit dem Team über neue Formen der Leistungsbeurteilung, die der Vielfalt unserer Kinder gerecht werden. Und abends sitze ich an Konzepten, die versuchen, pädagogische Vision und bürokratische Realität zu versöhnen.

Was banal klingt, berührt existenzielle Fragen: Wie schaffen wir Bildung in einem Bezirk, in dem hohe Erwartungen auf unterschiedlichste Lebensentwürfe treffen? Wie bleiben wir als Schule ein Ort der Zuversicht, wenn elterliche Ambitionen manchmal die kindliche Entwicklung überholen? Wie halten wir den Raum offen für das Unerwartete, für Langsamkeit, für Lebendigkeit – in einer Welt, die Optimierung predigt?

C.G. Jung hat geschrieben, dass jede Institution die unbewussten Schatten ihrer Mitglieder trägt. Eine Schule ist da keine Ausnahme. Die Angst vor dem Scheitern, die unerfüllten Ideale aus dem Studium, die stille Sehnsucht nach Anerkennung – all das wirkt. Als Schulleiter arbeite ich täglich mit diesen unsichtbaren Kräften. Nicht therapeutisch, aber durchaus bewusst.

Wenn Pädagog:innen frustriert sind, weil eine Klasse „nicht läuft“, geht es selten nur um Methodik. Oft berührt es das Gefühl, dem eigenen Anspruch nicht zu genügen. Wenn Eltern besorgte Mails schreiben, weil ihr Kind angeblich zu wenig gefordert wird, sprechen sie meist über ihre eigenen Unsicherheiten – über Leistungsdruck, über Vergleiche, über die diffuse Angst, das Beste nicht erkannt zu haben. Und wenn Kinder den Unterricht verweigern, erzählen sie von Überforderung, von fehlender Zugehörigkeit, manchmal von Erwartungen, die zu schwer wiegen.

Schulleitung bedeutet für mich, diese Ebenen mitzudenken. Nicht psychologisierend, aber mitfühlend. Der Dalai Lama hat gesagt, dass Mitgefühl die radikalste Form der Vernunft sei. In einer ganztägigen Schule, wo Menschen von sieben Uhr früh bis manchmal achtzehn Uhr zusammen sind, ist das keine Philosophie, sondern Lebensnotwendigkeit.

Das Privileg der Freiheit

Wir haben an unserer Schule ein seltenes Glück: Pädagog:innen, die bleiben wollen. Die unser Team lieben, die Freiheit schätzen, die hier möglich ist. Das ist kein Zufall, aber auch kein Verdienst einer einzelnen Person. Es ist das Ergebnis einer Haltung, die Vertrauen vor Kontrolle stellt, Entwicklung vor Perfektion, Beziehung vor Hierarchie.

Dieses Glück verpflichtet. Es bedeutet, diese Freiräume zu schützen – gegen bürokratische Übergriffe, gegen gut gemeinte Vereinheitlichung, gegen die ständige Versuchung, Sicherheit durch Regelwerke zu schaffen. Hartmut von Hentig hat geschrieben, dass Schule „ein Ort sei, an dem man die Welt im Kleinen erfahren und gestalten lernt“. Das ist ein hoher Anspruch. Aber ich glaube daran. Nicht naiv, aber beharrlich.

Als Schulleiter einer ganztägigen Volksschule gestalte ich keine Zukunft im großen Stil. Ich schaffe Bedingungen. Ich halte Spannungen aus. Ich moderiere Widersprüche. Ich schütze Freiräume. Ich bin Ansprechperson für Sorgen. Ich bin manchmal Blitzableiter. Und sehr oft bin ich einfach da – präsent, ansprechbar, verlässlich.

Das ist weniger heroisch, als es klingt. Aber es ist, glaube ich, das Wesentliche.

Die einfache Antwort

Wenn mich also das nächste Mal ein Kind fragt, was ich den ganzen Tag mache, werde ich vielleicht sagen: „Ich sorge dafür, dass ihr hier gut lernen könnt. Und dass eure Lehrer:innen gut arbeiten können. Und dass eure Eltern wissen, dass ihr hier gut aufgehoben seid.“

Klingt einfach. Ist es auch.

Und dann wieder nicht.

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