Wohin nach der Volksschule? – Ein Wegweiser

Wohin nach der Volksschule? Die Entscheidung kommt früh – oft zu früh. Was Eltern im achten Bezirk jetzt wissen sollten: Von Hirnforschung bis Schulprofilen, von AHS-Reife bis zu den ersten beiden Jahren im Gymnasium.

Hier präsentieren wir unser Web-Tagebuch (Blog), in dem wir (versuchen ;) aktuelle Ereignisse aus unserem Schulalltag festzuhalten.

Da das gesamte Team hier mit unterschiedlichen Werkzeugen (Handys, Computer, …) von verschiedenen Orten (unterwegs, zu Hause, in der Schule, …) Artikel veröffentlicht, kann jeder Beitrag anders aussehen.

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Nach Denken

Es ist November in der 4a. Die Kinder schreiben Geschichten über den Herbst, rechnen Textaufgaben, basteln Laternen. Alltag. Aber in den Köpfen ihrer Eltern herrscht bereits ein anderer Kalender: Januar – Erhebungsblatt. Februar – Anmeldungen. März – Zusagen.

Die Kinder leben noch im Hier und Jetzt. Ihre Eltern sind gedanklich längst im September nächsten Jahres.



Neulich nach einem KEL-Gespräch. Eine Mutter bleibt noch stehen. Ihr Sohn, zehn Jahre, arbeitet konzentriert, liest gern, stellt Fragen. „Er ist bereit fürs Gymnasium“, sagt sie, „aber welches? Und wie bereiten wir ihn vor? Meine Freundin meinte, die ersten beiden Jahre seien die Hölle.“

Ich sehe ihr an: Sie möchte, dass ich sage „Wird schon!“ Aber das wäre gelogen. Die ersten beiden Jahre sind anspruchsvoll. Nicht die Hölle – aber ein echter Umstieg. Und während wir darüber sprechen, wird mir klar: Diese Eltern brauchen keine Beruhigungspillen. Sie brauchen Orientierung.

Denn es beginnt der Marathon: Schulprofile vergleichen, Tage der offenen Tür besuchen, mit dem Kind sprechen, entscheiden. Und mittendrin sitzt ein/e Zehnjährige/r, eigentlich gerade lernend, wie man Divisionen schriftlich ausrechnet.


Zehn Jahre alt – und eine Entscheidung, die prägt

Der US-Neurowissenschafter Jay Giedd hat zwanzig Jahre lang die Gehirne von Kindern und Jugendlichen untersucht. Seine Entdeckung hat die Entwicklungspsychologie verändert: Mit zehn Jahren beginnt im Gehirn die radikalste Umbauphase des Lebens.

Der präfrontale Cortex – jener Bereich, der für Planung, Impulskontrolle und Zukunftsdenken zuständig ist – entwickelt sich erst mit Anfang zwanzig vollständig. Während der Pubertät werden täglich bis zu 30.000 Nervenzellen abgebaut, ungenutzte Verbindungen gekappt, neue gestärkt. Das Gehirn sortiert sich neu.

Der deutsche Hirnforscher Gerald Hüther beschreibt es so: Kinder in diesem Alter sind noch im „Möglichkeitsraum„. Ihre Interessen, Begabungen, Lernwege sind nicht festgelegt. Sie brauchen Erfahrungen, an denen sie wachsen können – und Beziehungen, die sie tragen.

Die Hirnforscherin Frances Jensen nennt das pubertierende Gehirn einen „Ferrari ohne Führerschein“ – leistungsstark, aber noch nicht ausgereift. Kinder in diesem Alter reagieren extrem auf Belohnungen, lernen unglaublich schnell, sind aber auch verletzlich für Misserfolge.


Was heißt das für die Entscheidung Gymnasium?

Ganz konkret: Das Kind, das im Dezember der vierten Klasse brilliert, kann im März der ersten Gymnasium-Klasse hadern. Nicht, weil es plötzlich „schlechter“ geworden ist. Sondern weil das Gehirn gerade umbaut – und neue Anforderungen auf ein System treffen, das sich selbst neu sortiert.

Umgekehrt: Das Kind, das jetzt unsicher wirkt, kann in einem Jahr durchstarten. Entwicklung ist nicht linear. Deshalb ist die Frage nicht nur: „Kann mein Kind das jetzt?“ Sondern auch: „Wird mein Kind in einem Jahr die Reife haben, damit umzugehen?“

Und noch wichtiger: Bekommt mein Kind in der neuen Schule das, was es entwicklungspsychologisch braucht? Erfolgserlebnisse? Beziehungen? Herausforderungen in einem sicheren Rahmen?

Das ist die eigentliche Frage hinter der Schulwahl.


AHS-Reife – was ist das eigentlich?

„Sehr gut“ oder „Gut“ in Deutsch, Mathematik und Sachunterricht – so lautet die formale Definition der AHS-Reife. Klingt einfach. Ist es aber nicht.

Denn die Frage ist nicht: Hat mein Kind die Noten? Die Frage ist: Ist mein Kind bereit für den Umstieg?

Was sich im Gymnasium ändert:

In der Volksschule habt ihr vier Jahre Zeit für den Stoff, der in der AHS in zwei Jahren durchgenommen wird. Wer bisher gemütlich mitgeschwommen ist, muss plötzlich treten.

Statt „Schreibe die Wörter mit ‚ie‘ auf“ heißt es „Analysiere die Argumentationsstruktur“. Statt Sachrechnung kommt Arithmetik oder Algebra. Kinder, die gerne konkret arbeiten, tun sich schwer.

Plötzlich sitzen 28 und mehr Kinder in einer Klasse, die alle „ sehr gut“ waren. Wer in der Volksschule Klassenbeste:r war, mag jetzt Durchschnitt werden. Das kann wehtun.

Und sie werden nicht mehr gemeinsam in der Nachmittagsbetreuung gemacht. Kinder brauchen plötzlich Selbstorganisation, Zeitmanagement, Durchhaltevermögen.

Nicht mehr eine Lehrerin oder Lehrer für fast alles. Sondern acht verschiedene Personen mit acht verschiedenen Stilen. Kinder, die Beziehung brauchen, müssen flexibler werden

 

Die Schullandschaft im achten Bezirk – wer bietet was?

Beim pädagogischen Abend haben fünf Gymnasien aus der Nähe ihre Profile vorgestellt. Hier ein Überblick:

BG/BRG Albertgasse

Traditionsreiches Gymnasium mit sprachlichem und naturwissenschaftlichem Zweig. Großes Haus, rund 800 Schüler, moderner Zubau. Bekannt für starke MINT-Förderung und Schulorchester. Atmosphäre: leistungsorientiert, strukturiert.

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Amerlinggymnasium

Überschaubares, künstlerisch geprägtes Gymnasium mit Schwerpunkt auf Sprachen, Kreativität, Theater-AG, Chor und Sprachreisen. Atmosphäre: familiär, progressiv, kreativ.

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Piaristengymnasium

Katholisches, privat geführtes Gymnasium mit langer Tradition (seit 1697). Humanistische Ausrichtung, Latein ab der ersten Klasse, aktive Wertevermittlung. Schulgeld: ca. 100€/Monat. Atmosphäre: traditionell, fördernd, konservativ.

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BG / BRG Rahlgasse

Großes Gymnasium mit sprachlichen, naturwissenschaftlichen und musischen Zweigen. Besonders bekannt für Musikklassen und Bläserensemble. Hohe Nachfrage bei Anmeldungen. Atmosphäre: urban, divers, lebendig.

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RG/WKU Feldgasse

Realgymnasium mit wirtschaftskundlichem Schwerpunkt. Fokus auf Naturwissenschaften, Mathematik und Wirtschaft; praxisorieniert und projektbasiert. Atmosphäre: modern, zukunftsorientiert.

Homepage

Die große Frage: Welches passt zu meinem Kind?

Kinder, die Struktur und Klarheit brauchen, fühlen sich in traditionsreichen, größeren Häusern oft wohler. Kinder, die kreativ sind und Freiraum brauchen, profitieren von kleineren, progressiveren Schulen.

Wichtig: Zu den Tagen der offenen Tür gehen. Nicht nur zu einer. Zu mehreren. Lassen Sie Ihr Kind – es ist alt genug – mitentscheiden. Frage: Wo fühlst du dich wohl?


Der Weg zur neuen Schule – Schritt für Schritt

HERBST

Schule(n) (be)suchen

Orientierung und Besuche der Tage der offenen Türe und unseres Pädagogischen Elternabends "Wohin nach der Volksschule?"

ANFANG FEBRUAR

(VOR)ANMELDUNG AHS

Nach telefonischer Terminvereinbarung. Mitzubringen: Erhebungsblatt (vom 7. Jänner – gut aufbewahrt!), Schulnachricht (Original + Kopie), frankiertes Kuvert (nur für AHS).

Viele Schulen führen kurze Kennenlerngespräche. Keine Sorge – das sind keine Aufnahmeprüfungen. Die Schulen wollen Kinder kennenlernen, spüren, ob es zur Schulgemeinschaft passt. Manche Kinder sind aufgeregt, andere neugierig. Beides ist richtig.

BIldungsdirektion
MITTE / ENDE MÄRZ

Entscheidung der Schule

Die Zusage kommt – oder die Absage. Bei Absagen nicht verzweifeln: Sofort die Bildungsdirektion kontaktieren. Die beraten kompetent über freie Plätze. Und: Manche Kinder rutschen noch nach, weil andere absagen.

JUNI

Die AHS-Reife

Sie wird nach der Notenkonferenz automatisch über die Verwaltungs Programme gemeldet. Keine Papierbürokratie mehr! Wenn die Noten im Jahreszeugnis stimmen („Sehr gut" oder „Gut" in Deutsch, Mathematik und Sachunterricht), ist alles erledigt.

SOMMER

Der Sommer – Vorfreude und Nervosität

Sechs Wochen zwischen „war" und „wird". Manche Kinder können es kaum erwarten. Andere fragen hundertmal: „Schaffe ich das?" Beide Reaktionen sind völlig normal. Sprechen Sie darüber. Lesen Sie vielleicht gemeinsam ein Buch über den Schulwechsel. Besuchen Sie – wenn möglich – nochmal das Schulgebäude von außen. Es real machen, aber nicht bedrohlich.

SEPTEMBER

Die ersten Wochen – Ankommen im neuen System

Neue Gesichter. Neue Räume. Neues Tempo. Die meisten Kinder erleben diesen Übergang als aufregend – und anstrengend zugleich. Rechnen Sie eventuell damit, dass Ihr Kind in den ersten Wochen erschöpfter nach Hause kommt. Das ist nicht schlimm. Das ist Anpassung.

Was Eltern tun können – ein Fragenkatalog

Fragen ans Kind:

  • Was kannst du besonders gut?
  • Wofür interessierst du dich?
  • Wie fühlst du dich, wenn du an eine neue Schule denkst?
  • Magst du Herausforderungen oder brauchst du Zeit?
  • Arbeitest du gern allein oder mit anderen?

Fragen an sich selbst:

  • Kann mein Kind gut mit Druck umgehen?
  • Ist es selbstständig genug für Hausübungen ohne mich?
  • Braucht es viel Lob oder kommt es mit Kritik klar?
  • Hat es Freunde, die auch ins Gymnasium gehen? (Peer-Support ist wichtig!)
  • Können wir als Familie den Umstieg begleiten? (Nachmittags verfügbar sein, Frustration aushalten, ermutigen?)

Fragen an die Lehrkraft:

  • Wie schätzen Sie die Leistungsfähigkeit ein?
  • Wo sehen Sie Stärken, wo Entwicklungspotenzial?
  • Wie selbstständig arbeitet das Kind?
  • Wie geht es mit Rückschlägen um?

Realistisch bleiben: Ein „Gut“ in Mathematik bedeutet nicht automatisch AHS-Erfolg. Wichtiger ist: Versteht mein Kind, was es tut? Oder hat es nur auswendig gelernt?

Ein „Sehr gut“ in Deutsch bedeutet nicht automatisch AHS-Erfolg. Wichtiger ist: Kann mein Kind Texte wirklich erfassen? Oder liest es nur vor?


Die ersten zwei Jahre – eine intensive, aber lohnende Zeit

Die ersten beiden Klassen im Gymnasium sind anspruchsvoll. Ja. Aber sie sind auch eine Zeit voller Wachstum. Kinder lernen in dieser Phase unglaublich viel – nicht nur Mathematik und Deutsch, sondern auch: Durchhaltevermögen. Selbstorganisation. Frustrationstoleranz. Dinge, die fürs Leben zählen.

Wenn es herausfordernd wird (und das wird es manchmal):

Rechnen Sie mit einem eventuellen Notenrutsch – und relativieren Sie ihn. Die erste Vier in Mathematik. Die erste Drei in Deutsch. Kinder, die das aus der Volksschule nicht kennen, sind oft geschockt. „Bin ich jetzt schlecht?“ Nein. Sie sind in einem neuen System, in dem andere Maßstäbe gelten. Bleiben Sie ruhig. Erklären Sie: „Früher warst du eine von 20. Jetzt bist du eine von 28 – und alle hier waren gut genug. Es ist normal, dass die Noten anders aussehen.“

Reden Sie über Gefühle, nicht nur über Leistung. „Ich fühle mich überfordert“„Alle verstehen es schneller als ich“ – „Ich hab Angst vor der nächsten Schularbeit.“ Hören Sie zu. Nehmen Sie die Gefühle ernst. Aber zeigen Sie auch Perspektive: „Das, was du gerade fühlst, ist anstrengend. Aber es geht vorbei. Und du wächst daran.“

Feiern Sie Fortschritte, nicht nur Ergebnisse. Nicht nur die Eins in Biologie zählt. Auch: „Du hast heute die Hausübung alleine gemacht!“„Du hast nachgefragt, als du etwas nicht verstanden hast!“ – „Du bist nach der schlechten Note nicht aufgegeben!“ Das sind die Erfolge, die Resilienz aufbauen.

Holen Sie sich Unterstützung, wenn nötig – ohne schlechtes Gewissen. Nachhilfe ist kein Versagen. Manchmal braucht es jemanden, der den Stoff anders erklärt. Manchmal fehlt nur Routine. Manchmal hilft schon eine Lerngruppe mit Mitschülern. Schulen bieten oft kostenlose Förderstunden an – nutzen Sie sie!

Bleiben Sie im Gespräch mit der Schule – frühzeitig. Wenn Schwierigkeiten auftauchen: Sprechstunde nutzen. Klassenvorstand ansprechen. Nicht erst bei der Frühwarnung reagieren, sondern vorher. Die meisten Lehrkräfte sind dankbar, wenn Eltern das Gespräch suchen, statt zu warten.

Und das Wichtigste: Vermitteln Sie Ihrem Kind, dass Sie hinter ihm stehen. Egal, welche Noten. Egal, wie holprig der Start. Ihre Beziehung ist nicht leistungsabhängig. Das gibt Sicherheit – und aus Sicherheit wächst Mut.


Was bleibt

Der pädagogische Abend ist vorbei. Schulleiter haben präsentiert. Eltern haben genickt, gefragt, Notizen gemacht. Und am Ende steht die Frage: Was ist richtig für unser Kind?

Die Wahrheit ist: Ihr wisst es nicht. Noch nicht. Ihr könnt nur eine Entscheidung treffen, die im Moment sinnvoll erscheint. Und dann schauen, ob sie trägt.

Was Kinder in dieser Zeit brauchen? Nicht perfekte Entscheidungen. Sondern Eltern, die sie begleiten. Die zuhören. Die ermutigen. Die da sind, wenn es schwierig wird.

Der Sprung von der Volksschule ins Gymnasium ist ein Sprung ins kalte Wasser. Für manche Kinder erfrischend. Für andere überwältigend.

Aber niemand springt allein. Man springt als Familie.

Und das macht den Unterschied.


 

Termine und praktische Infos für 2026

7. Jänner 2026: Erhebungsblatt von der Volksschule (gut aufbewahren!)

Im Jänner: Telefonische Terminvereinbarung in der Wunschschule

Anfang Februar: Einschreibung (nach Termin)

  • Mitbringen: Erhebungsblatt + Schulnachricht Original + Kopie + frankiertes Kuvert (AHS)

 

Mitte/Ende März: Zu- oder Absage

Vorletzte Schulwoche (Juni): AHS-Reife wird automatisch gemeldet


Schulführer Wien: schulfuehrer.bildung-wien.gv.at
Schulinfo-Telefon: 01/52525-7700


Dieser Artikel basiert auf dem pädagogischen Abend „Wohin nach der Volksschule?“ an der OVS Zeltgasse sowie aktuellen Erkenntnissen aus der Hirnforschung (Jay Giedd, Frances Jensen) zur Entwicklung von Zehnjährigen. Er versucht, Eltern eine realistische Orientierung zu geben – ohne Druck zu machen, aber auch ohne die Herausforderungen zu verschweigen.

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